Obdachlos mit Kind - was jetzt?
Jemand wie du und ich....

Ruhig, viele Grünflächen, wenig Verkehr – eine nette Wohngegend eben.
Erinnert mich fast schon an die Straße wo ich aufgewachsen bin.
Das Stiegenhaus durchzieht ein frischer Wäschegeruch. Vertrautheit und eine Spur Nostalgie geben dem Ort, aus unerfindlichen Gründen, eine schwere Note.
Ich muss lächeln.
Plötzlich kommt mir unerwarteter Lärm entgegen. Doch er ist nicht unangenehm.
Es sind verspielte Kinderstimmen, die nach einander rufen und besorgte Mutterstimmen, die hinterherkommen.

Wirkt wie ein normales Haus. Wie eines in dem die meisten Wiener wohnen.
Wie du und ich eben.
Doch die Wohnsituation der Menschen die mir entgegenkommen ist etwas anders. Sie haben alle kein eigenes Zuhause, obdachlos sind sie dennoch nicht.
Ich befinde mich im MUKI, einem Mutter-Kind-Heim.
Eine Einrichtung für Familien, wo sie in Krisensituationen rasch, eine zeitlich begrenzte Wohnmöglichkeit und professionelle Unterstützung finden können.
Hauptsächlich richtet sich die Institution an wohnungslose, volljährige Mütter und schwangere Frauen, aber auch vereinzelt an Väter und Paare mit Kind.
„Ziel der Betreuung ist die Förderung der Kompetenz der Mütter und Väter, eigenständig in einer eigenen Wohnung zu leben und verantwortungsvoll mit ihrem Kind/ihren Kindern umzugehen. Gruppenarbeit und freizeitpädagogische Angebote sollen selbstständige Aktivitäten und soziales Lernen fördern."1
Um im MUKI einen Wohnbereich, wie eine Wohnung oder ein Zimmer nutzen zu können, muss ein Beitrag geleistet werden. Dieser wird individuell errechnet und beträgt zwischen 140 Euro und 349 Euro.
Sobald man im Internet „Wohnungslos in Wien" oder „Obdachlos in Wien" eingibt kommen viele Angebote für Notunterkünfte und Wohnheime in Wien.
Auf der Seite http://wohnen.fsw.at/wohnungslos/ finden Bedürftige professionelle Hilfe und Schlafunterkünfte.
Wie ich meistens lese, sind diese aber stark ausgelastet. Einen Schlafplatz zu finden ist daher sehr schwer, wenn auch nur für eine Nacht.
Zu Gast bei Frau E.

Am Weg zu meiner Interviewpartnerin, wird mir erklärt wie vertraulich die Informationen über das Haus und die Einwohner sind. So einfühlsam wie es nur geht, werde ich gebeten, Rücksicht zu nehmen, bezüglich unangenehmen Fragen und Veröffentlichung der Daten.
Das MUKI stellt immerhin einen wichtigen Schutzraum für die Bewohnerinnen und die Kinder dar. Eine der wichtigen Anlaufstellen für viele wohnungslose Familien in Wien.
Wir gehen in den zweiten Stock, auf der rechten Seite und dann nach links.
Die Tür steht schon leicht offen, dennoch klopfen wir an.
Frau E. bittet uns darauf freundlich hinein. Nach dem ersten Blickkontakt, bin ich von ihrem Lächeln gleich angesteckt.
Wir setzen uns an einen großen Esstisch, der sich im Wohn- und gleichzeitig Schlafzimmer befindet. Ein frischgemachter Früchtetee und Kekse sind bereits angerichtet. Ich fühle mich sofort willkommen.
Plaudern zu Tee und Keksen
Das Fenster im Wohnzimmer von Frau E.
Im MUKI

Frau E. wohnt, mit ihren drei Töchtern und ihrem Partner, seit drei Jahren im Mutter-Kind-Heim. Ihre beiden anderen Kinder, sind bereits ausgezogen. Bald aber, muss sie das MUKI verlassen und hofft auf eine betreute Wohnung. Danach möchte die 40-jährige in eine Gemeindewohnung ziehen.

Was sofort auffällt ist die offene und direkte Art von Frau E. Sie erzählt mir detailliert von ihrem Leben im Heim und vielen Situationen, die sie schon meistern musste.
Hilfe aufzusuchen hat sich die gebürtige Türkin zuerst nicht getraut. „Von meiner Familie, habe ich Schlechtes gehört. Mutter-Kind-Heime wären schlecht und da würden Kinder abgenommen werden", berichtet die fünffache Mutter.
Ihr Neuanfang begann, als sie vor der konservativen Einstellung ihrer Familie, in die Steiermark flüchtete. Die Einsamkeit und der Verlust der gewohnten Umgebung aber machten es ihr nicht leicht. "Alle haben uns komisch angeschaut", erzählt sie.
Zurück in Wien suchte sie Unterstützung bei wieder wohnen, einer Anlaufstelle für Wohnungslose. Daraufhin wurde Frau E. auf das bzWO – Beratungszentrum Wohnungslosenhilfe verwiesen und von dort in ein Mutter-Kind-Heim.

Die anfängliche Skepsis gegenüber dem MUKI, hat Frau E. nach dem Erstgespräch schnell abgelegt. Heute kann sie darüber lachen und meint" Ich habe gesagt, dass ich nicht wusste, dass das ein Mutter-Kind-Heim ist, dass sie meine Kinder nicht wegnehmen sollen. Ich weiß nicht mehr, was ich alles vor Aufregung gesagt habe. Meine Betreuerin hat gemeint, „Wir nehmen dir die Kinder nicht weg". Dann habe ich mir die Wohnung angeschaut und wir haben geredet, dann habe ich mich beruhigt".
Seitdem sind 3 Jahre vergangen und E. hat viele Fortschritte gemacht, wie sie mir berichtet. Besonders stolz, erzählt sie. „Ich habe meinen Hauptschlussabschluss gemacht. Das war das Wichtigste für mich. Ich habe Angst bekommen, aber meine Betreuerin hat gemeint, dass wenn ich etwas will, denn kann ich es auch schaffen. Es war sehr anstrengend. Früher habe ich mich das nicht getraut, aber Gottseidank habe ich das nun geschafft. Das ganze MUKI-Büro hat mir helfen müssen, denn ich habe ich Angst gehabt es nicht zu schaffen. Sie haben gesehen, dass es mir nicht gut geht und wussten – wir müssen ihr helfen."
Mehrmals erklärt sie mir, dass sie diesen, und viele andere Erfolgserlebnisse, den Mitarbeiterinnen im Heim zu verdanken hat. Für sie, sind sie ein Teil ihrer Familie. Ein Teil, der ihr eine lange Zeit gefehlt hat.

Das MUKI bietet nicht nur einen Schlafplatz und Betreuung, sondern inkludiert auch Abendprogramme, ein gemeinsames Frühstück und Kontrollen. Zwar ist jeder, in seiner kleinen Wohnung unbeaufsichtigt und kann zusperren, wie ein normales Zuhause fühlt es sich für mich aber nicht an. Mehr wie eine Wohngemeinschaft. Auf die Frage, was der Unterschied zwischen den eigenen vier Wänden und ihrer jetzigen Wohnsituation sei, antwortet Frau E. mit: „Der einzige Unterschied ist, dass du Abendrunden hast. Aber wenn man das Büro als Familie sieht, so wie ich, dann ist das nichts Schlechtes. Die kommen ja nicht einfach rein, sondern klopfen an und fragen nach wie es mir und den Kindern geht. Einmal im Monat haben wir Nachkontrolle, aber das stört mich nicht."

In Heimen für Mütter und Kinder gibt es verschiedene Wohnvarianten. Frau E. besitzt ein Wohnzimmer, ein Kabinett, Küche, Toilette. Die Dusche ist im Vorzimmer eingebaut. Dazu kommen die Gemeinschaftsräume, die für die Einwohnerinnen und Betreuerinnen zugänglich sind.
Am liebsten würde ich hier sterben

Selbstbewusst, aufgeweckt, eigenständig. Diesen Eindruck vermittelt E.
Dass sie es nicht immer leicht hatte, merkt man nur aufgrund ihrer Erfahrungen von denen sie mir berichtet. Ihre drei Mädchen will sie zu starken Frauen erziehen. "A. ist es ein bisschen unangenehm wenn Freunde gefragt haben, warum sie im Muter-Kind-Heim wohnen. Die M. dagegen hat gemeint - na und! Wir warten auf unsere eigene Wohnung dort.", erzählt mir Frau E. begeistert.
Und auch ich bin sehr angetan vom Selbstbewusstsein des Mädchens.

Seit drei Jahren wohnt Frau E. bereits im Heim. Meistens ist die Bleibeerlaubnis auf ein bis zwei Jahre begrenzt. Das Fachpersonal ist in einem Heim für Mütter und Kinder ist, im Gegensatz zu anderen betreuten Wohneinrichtungen, permanent anwesend und kümmert sich um das Wohl der Bewohner. Sie unterstützen die Frauen in allen Lebensbereichen, wie ich aus dem Interview heraushören kann.
Das Team bietet Hilfestellung bei finanziellen und rechtlichen Angelegenheiten, genauso bei psychologischen Krisen und Sozialisierung geht. Sie helfen den Menschen ihren Alltag zu strukturieren und ihn zu bewältigen, was für viele oft ein Problem darstellt.
Das Ziel ist ein geregeltes, selbstständiges Leben in einer eigenen Wohnung.

Bei der direkten Frage warum Frau E. noch im Mutter-Kind-Heim wohnt, muss sie schmunzeln und meint, dass es so schön hier sei, dass Sie nicht weg möchte. Sie sagt „am liebsten würde ich hier sterben. Es ist so schön hier zu sein." Dabei bezieht sie sich auf das familiäre Gefühl innerhalb der Einrichtung.

Unsere Teetassen sind mittlerweile leer und E. marschiert bereits motiviert in die Küche um noch mehr zu kochen. Ihre Herzlichkeit ist sehr rührend.



Der Fixpunkt in schweren Zeiten


Im Vordergrund der Mutter-Kind- Einrichtungen steht, dass die bedürftigen Frauen und Kinder, so schnell wie möglich eine Wohnmöglichkeit bekommen und einen Rückzugsort haben um die, meist traumatischen, Erlebnisse zu verarbeiten.
Als E. zurückkommt, erzählt Sie mir, dass Caroline, ihre Betreuerin, wie eine Schwester für sie ist und immer an ihrer Seite war. Auch in ihren Depressionen, die sie eine Zeit stark im Griff hatten.
"Ich bin oft tagelang im Bett gelegen und konnte nicht aufstehen. Da kam Caroline und hat mich ermutigt".
Betreuer begleiten die Frauen oft mehr als ein Jahr lang und sind in allen Lebenslagen ein wichtiger Ansprechpartner. In Krisensituationen ist es ihr Job, immer ein offenes Ohr zu haben und in schweren Zeiten, ein Fixpunkt im Leben der Betroffenen zu sein.

Ich möchte mehr von ihrer Zukunft erfahren.
„Wie schätzen Sie Ihre Chancen auf dem derzeitigen Wohnmarkt ein?", frage ich sie. Ich merke, dass ihr die Antwort schwerfällt, das Lächeln behält sie dennoch auf den Lippen. „Schwer", erwidert Sie.
Den niedrigen Beitrag für die Wohneinrichtung kann sie sich gut leisten. Den Rest, wie beispielsweise Lebensmittel und Hygieneartikel, organisiert das Heim, für die Bewohnerinnen, so gut wie es geht selbst.
Eine niedrige Miete, für eine kleine Wohnung, würde sich die 40-jährige leisten können, wie sie sagt. Sie hätte aber Angst, ob das Geld für den Rest reichen würde. Frau E. besitzt ein betreutes Konto, also ein Konto, das von ihrer Betreuerin mitgeführt wird. Bevor sie Hilfe aufsuchte, war E. verschuldet, nun hat sie es, nach eigenen Angaben, geschafft alles abzubezahlen und möchte langsam wieder in die komplette Selbstständigkeit.
"Früher hatte ich wegen meinem Ex-Mann viele Schulden, aber jetzt bin ich schuldenfrei. Gottseidank."

Das erfahre ich während der restliche Tee, aus der Kanne, aufgeteilt wird.



Beim Zurückkommen macht sie eine Bemerkung über die Kiste, die ich im Wohnzimmer bemerkt habe. Sie meint sie habe sie bekommen von den „reichen Leuten", wie die Spender, lustigerweise, nennt. Immer wieder schenken Unternehmen dem MUKI einen Teil ihres Sortiments. Das Haus freut sich jedes Mal über die nette Aktion. So auch Frau E.
Lachend berichtet mir Frau E., dass sie dieses Bügelbrett zum Geburtstag bekommen hat.
Sie hat sich über das Geschenk gefreut

Erfolge und Wünsche

E. lernt in den drei Jahren, sich immer mehr zuzutrauen wie beispielsweise das Radfahren.
"Ich hab schwimmen gelernt, Fahrradfahren...", berichtet sie stolz.
Für manche etwas ganz Normales, für sie, ein großer Schritt in Richtung Selbstvertrauen. Die ehrgeizige Powerfrau blickt positiv in die Zukunft. „Bis jetzt habe ich Gottseidank alles geschafft. Wenn ich dann meine Wohnung dann habe, werde ich einen freien Kopf haben.", erzählt sie.

Bald will sie den Kurs zur Heimhilfe belegen, ihrem Traumjob.
Frau E. möchte ihre soziale Kompetenz und ihre Erfahrungen einsetzen um später auch anderen Menschen helfen zu können. Ein weiterer Traum wäre eine eigene, schöne Wohnung, dieser folgt gleich nach der Ausbildung.
Tee

Ich verabschiede mich herzlich und bedanke mich nochmals für den guten Tee. Daraufhin eilt die Gastgeberin wortlos zu einem weißen Schränkchen, dass in der Küche steht. Sie holt eine große Teepackung raus und drückt sie mir in die Hand worauf eine Umarmung folgt.
Ihre Worte rauben mir meine letzten: Ich habe den Tee auch geschenkt bekommen, ich schenke ihn dir gerne weiter.
Es hat mich gefreut.

Made on
Tilda